Die Idee
Juni 1992
Wolf Isern, Karl Kautz und Ulrich
Furney teilten sich in der Hohenlohestraße eine weitläufige Tiefgeschoßwohnung,
solange nicht mindestens einer von ihnen auf See war. Die Leidenschaften der drei
Freunde überschritten die Grenze zur Versponnenheit manchmal deutlich. Wer sie
kannte, wunderte sich nicht über Begegnungen, die einem widerfuhren, der die
Tür ihrer Behausung durchschritt.
Drückte der Besucher die Klingel,
heulte verstörend eine Uboot-Alarmsirene. Wurde ihm aufgetan, pfiff ein
elektronischer Bootsmannsmaat Seite, und der Geehrte betrat einen von
Bootslaternen erhellten Gang. Gleich hinter der Tür bohrte sich eine
Klüverbaumspitze ihm in den Bauchnabel, gehörig zum beherrschenden Modell eines
Flying-P-Liners. Messingschildchen auf den rechts und links, nein, back- und
steuerbords abgehenden Türen verkündeten Messe, Pantry, Hellegat und die
Offizierskammern dahinter.
Fotos schmückten die Wände: Wolf auf
einer Oberbramrah, Karl im Kampf mit einem widerspenstigen Klüver oder Ulrich,
ein überspültes Deck im Atlantik entlang taumelnd. In der Messe saß man auf
Seekisten, und in Wolfs Kammer rammte, fachgerecht gezurrt, ein altes
Sechspfündergeschütz seine stumpfe Mündung gegen eine Stückpfortenattrappe am
Schott, nein an der Wand.
Verschiedene, nach dieser Einführung
vielleicht zu vermutende Requisiten hätte ein maritim unbelasteter Besucher
vermißt: Zierbretter mit „Seemannsknoten“ oder winzige Objekte in verkorkten
Flaschen, nur mit gutem Willen als Schiffe zu erkennen, dafür umso
unverfrorener untertitelt. Auch Meerjungfrauen gab es nicht zu besichtigen auf
den eher dezent knorrigen Unterarmen der drei Bewohner. Wolf, Karl und Ulrich
legten Wert auf Authentizität und die durch sie geschaffene, ehrwürdige
Ästhetik.
Ausnahmsweise waren alle drei zu
Hause. Vor zwei Tagen war Diplomnautiker Ulrich nach Ableistung seiner
zweijährigen Fahrenszeit als Wachoffizier von See gekommen. Nun durfte er jedes
Schiff auf Großer Fahrt führen. Natürlich hatten seine Freunde die Heimkunft
des frischgekührten Kapitäns gestern Nacht gebührend begangen. Die Besucher
waren inzwischen ausgekehrt (worden), der letzte morgens halb fünf. Jetzt war
es Sonntagnachmittag halb fünf am Tag danach. Nur auf der Badezimmerfensterbank
stand noch eine leere Bierflasche als übersehener debris der leidenschaftlich
ausgefochtenen landing party.
Ulrich und Karl lagen vorm Fernseher
und harrten möglichst reglos drauf, daß die noch entfernt grummelnden Ausläufer
des alkoholischen Sturmtiefs sich aus ihren Köpfen verzögen. Errol Flynn
schwang sich an einer etwas verfehlt in die Mattscheibe hängenden Leine hinweg
über eine Schar brav zerlumpter Hollywood-Meuterer und brachte sie mit
blitzenden Augen zur Räson.
„Kannst du mir verraten, wo er den
Tampen her hat?“ knurrte Ulrich träge.
„Wahrscheinlich macht er’s wie
Tarzan, der hat auch immer ’ne Liane in der Tasche, für Notfälle. Vielleicht
soll es auch ein abgeschossener Gording sein“, schlug Karl vor.
„Das letzte Gefecht ist drei Tage her,
und Errol hat seine Gordings nicht spleißen lassen. Schlampig geführter Kahn.
Alberner Film“, brach darauf Ulrichs Urteil, vernichtend wie der Spruch des
Jüngsten Gerichts, herein über die Bemühungen der Darsteller.
Wolf wrang den Wischmob aus, mit dem er
die Küche gefeudelt hatte, hängte ihn zurück in den Besenschrank und gesellte
sich zu seinen Piratenfreunden. „Ihr seid vielleicht Helden“, spottete er. „Die
besten Fußballprofis spielen immer noch für FC Wohnzimmer Fernsehsessel, was?“
„Höre!“ schnappte Ulrich. „Ich komm
gerade von Singapur. Ich brauch’ mir von dir keine Stubenhockerei vorwerfen zu
lassen. Da unten war Taifunsaison!“
„Kaffeeschlürfen auf’m
40.000-Tonnen-Containerpott mit Stabilisatoren und Hightech-Automatik auf
klimatisierter Brücke“, lächelte Wolf. „Auch nicht viel anders als Fernsehen.
Laßt uns wenigstens noch auf’n Bier rüber in den Weißen Dietrich gehen. Wir
sind überhaupt nicht zum Schnacken gekommen, seid du zurück bist.“
„Du willst doch nicht schon wieder
trinken!“ stöhnte Karl.
„Das beste Mittel gegen Bier ist
Bier“, behauptete Wolf mit einer Logik, der sich die anderen dann doch nicht
verschlossen.
So kam es an diesem Sonntagabend im
Juni zu einer Unterhaltung, deren Wirklichkeitsferne ihre sehr tatsächlichen
Folgen nicht hätte ahnen lassen.
Die Dekoration des Weißen Dietrichs
ähnelte der in der Wohnung der Freunde, wohl der Hauptgrund, warum sie sich
hier zu Hause fühlten. Über ihrer bevorzugten Nische hing das Modell einer
alten Fregatte, deren Segel, von viel Leim gestärkt, sich vorwärts stürmend
blähten. Durch Qualität,r gar Authentizität zeichnete es sich nicht aus, aber
darüber sahen im Halbdunkel sogar die drei Seefahrer hinweg, stellten sich vor,
wie es aus allen gähnenden Stückpforten zur Theke hinüber feuerte.
„Wir haben gestern vergessen, auf
dein Patent zu trinken“, behauptete Karl lachend.
„Mindestens siebzehnmal“, ächzte
Ulrich. „Vielleicht auch dreiundzwanzig.“
„Dann schadet einmal mehr nicht“,
rief Wolf. „Auf deinen vierten Streifen, Ulrich!“ Krachend stemmten sie ihre
Guinnessgläser gegeneinander.
Wolf nahm einen langen Schluck,
lehnte sich tief Luft holend zurück und musterte über den Rand des Biers hinweg
sein Gegenüber.
„Aber erzählt hast du wirklich noch
nichts. Spinn mal ein bißchen Garn von der letzten Reise.“
„Garn?“, knurrte Ulrich mürrisch.
„Was sollte ich wohl erlebt haben, wovon man Garn spinnen könnte? Das muß ich
Karl überlassen.“
„Was?“ fragte der. „Du hast mir nicht
eine kleine Geschichte mitgebracht, die ich verarbeiten kann?“
Ulrich schüttelte seinen Kopf. „Nix
mit Taifunabenteuern und Baströckchenschönheiten. Oh, wir hatten schweren Sturm
im Südatlantik. Wellen über fünfzehn Meter, Windgeschwindigkeiten an die
hundert Knoten. Wir aber lassen uns durch die Gegend schippern von
vollautomatischen Schuhkartons, beladen mit zwei-, dreitausend genau gleichen,
kleineren Schachteln. Wolf hat schon recht. Ich saß auf meiner Brücke im schön
warmen Lehnstuhl, habe einen Knopf gedrückt und die Stabilisatoren ausgefahren.
Nicht mal zum Kaffeekochen steh ich mehr auf, wenn ich Brückenwache gehe. Wie
viele Seeoffiziere – von uns selbst nicht zu reden – kennen wir, die einen
mächtigen Spleen weghaben? Andere fangen an, sich zu besaufen, und so kommen
die Unfälle zustande. Wirkliche Seenot mit flatternden Hemden über Flößen aus
Wrackteilen ist selten geworden.“
„Stell doch die Kaffeemaschine ans
andere Brückenende“, schlug Wolf vor.
„Da steht sie schon“, feixte Ulrich,
„aber mein Sessel läuft auf Schienen. Ich fahre über die Breite der Brücke hin,
ohne aufzustehen. Ich habe mir einen großen Becher voll geholt, randvoll,
schwarz und dampfend, habe ihn abgestellt auf der Blechkonsole des
Radarschirms. Keine Sorge, daß der vielleicht überschwappt. Die sind gut, diese
Stabilisatoren.“
Karl schüttelte ungläubig den Kopf. „Wahrscheinlich
hält dir ein Roboter noch das Fernglas vor die Augen?“
„Wozu Fernglas?“ gab Ulrich zurück.
„Wir haben mitplottendes Radar, GPS, Satellitentelefon und den
Navigationsrechner. Das Schiff weicht automatisch aus, wenn ein Dampfer mit Wegerecht
in Sicht kommt, und geht automatisch wieder auf alten Kurs. Nee, das is’ alles
keine Seefahrt mehr, und unsere schwimmenden Untersätze verdienen kaum den
Namen Schiff noch. Eigentlich könnten sie ganz ohne Besatzung fahren.“
„Und wer kocht dann?“ fragte Karl,
reichlich unüberlegt, wie ihm aufging, da seine Freunde ihn strafend musterten.
„Ähem, ja“, machte er.
„Vielleicht bin ich deshalb offiziell
kein Kapitän“, fuhr Ulrich fort. „Wißt ihr, wie ich mich jetzt offiziell nennen
muß?“
„Na, verrat’s uns“, forderte Wolf ihn
gutmütig auf, obwohl er diesen Titel auch anstrebte.
„Ich bin jetzt
‚Schiffsbetriebsleiter’, allerdings einer ohne Schiff“, verkündete Ulrich und
heischte erwartungsvoll empörte Reaktionen aus der Runde.
„Was soll das sein?“ fragte Karl
verblüfft.
„Na, eben der Kapitän“, grinste
Ulrich.
Karl knallte sein Glas auf den Tisch.
„Das ist Sprachvergewaltigung! Wieso können die nicht bei Kapitän bleiben?“1
„Wenigstens ein paar pikante
Geschichten von japanischen Mädchen?“ fiel Wolf ein.
Wiederum schüttelte Ulrich den Kopf.
„War ja gar nicht in Japan.“
„Wieso haben wir dann Post von dir
aus Yokohama gekriegt? Seid ihr da nicht eingelaufen?“
„Doch. Für genau zehn Stunden.
Fünfhundert Container raus, fünfhundert wieder rein. War Ladungsoffizier, nicht
an Land. Unsereins ist hundert Jahre zu spät geboren.“
„Oder zweihundert“, ergänzte Karl.
Eine Weile schwiegen sie. Jeder für
sich hingen sie der verlorenen Seefahrt nach. Wolf bestellte Guinness.
Noch dem ersten Schluck der neuen
Runde lächelte Ulrich verträumt hinterher. „Etwas habe ich doch zu erzählen. In
Santiago streikten die Hafenarbeiter. So lagen wir dort nicht nur ausnahmsweise
länger als zwölf Stunden. Vorher mußten wir eine Warteschleife in den Pazifik
hinein drehen. Da hab ich meine Trauminsel gefunden.“
„So wie du Augen verdrehst“, grinste
Karl, „scheint viel mehr eine Traumfrau dich betört zu haben.“
Aber durch neidische
Despektierlichkeiten ließ Ulrich sich das Bild vor seinem inneren Auge nicht
verwischen. „Sie gehört zum Juan-Fernandez-Archipel und ist unbewohnt. Ein
schnelles Landungsunternehmen, und sie gehört dir.“
„Toll! Angenommen, dein Handstreich
hat Erfolg“, lästerte Wolf. „Dann legst du dich an den Strand, läßt dir
Kokosnüsse ins Gesicht fallen...“
„Quatsch“, unterbrach Ulrich heftig.
„Du bist doch sonst nicht phantasielos! Selbstverständlich gedenke ich, einen
Staat zu gründen. Ich vermute, die Insel ist bei einer Vulkanexplosion
entstanden. Die Felsen bilden einen fast geschlossenen Lagunenring und dadurch
einen hervorragenden, natürlichen Schutzhafen. Ein paar Unterwasserfelsen müßte
man vielleicht weg sprengen. Mit ein bißchen Beton könnten wir aber einen
idealen Traditionseglerhafen draus bauen... ein Mekka für Spinner wie uns...“
Karl, der außerdem gern Dichter
gewesen wäre, übernahm den Faden: „Auf den Molenköpfen stehen Batterien alter
Bronzegeschütze, bemannt von Pitcairn Marines in roten Röcken und weißen
Kniehosen. Die schießen Salut, wenn ein Segler einläuft. Vor dem
Regierungspalast im britischen Kolonialstil stehen Posten mit Musketen, die
Seite pfeifen, wenn die Staatsgründer ein- und ausgehen. Ein Teil des
Dschungels wird gerodet und auf den Plantagen bauen Sklaven Tabak und
Zuckerrohr an. Wir werden den besten Rum der Welt brennen, berühmter als, was
von Jamaika kommt. Rum, Tabak und Papageien werden wir mit unserer eigenen
Flotte aus Briggs und Schonern in alle Welt verschiffen.
Außerdem werden wir einen Verlag
gründen, politisch gewichtige Traktate drucken mit Titeln wie ‚less houses,
more ships’ und sie über den einzigen Piratensender verlesen, der die
Bezeichnung verdient.“
„More beer“, schrie Ulrich mit beiden
Armen rudernd zur Theke hinüber. Es kam ‚more beer’.
„Gut also. Schundliteratur und Rum,
sie runterzuspülen“, meinte Wolf. „Was noch?“ unterbrach Wolf, dessen der
Wirklichkeit verbundenere Vorstellungskraft auch langsam entflammte. „Frauen.
Wir müssen uns ein paar hübsche Sabinerinnen klauen! Sollen wir sie in
Seemannschaft ausbilden? Oder sollen sie schluchzend nur unseren auslaufenden
Schiffen nachwinken, treu und keusch auf ihre weltreisenden Seeleute warten und
Kopfkissen sticken mit der Aufschrift: ‚salt, sweet salt’?“
Ulrich betrachtete ihn voll Abscheu
und schüttelte mitleidig seinen Kopf. „Du hast zum Träumen keine Begabung. Die
Frauen kommen von allein. Weil wir das größte Windjammerfestival aller Zeiten
organisieren werden.“
„Was, in dem kleinen Hafen?“
„Nein, vor der portugiesischen Küste.
Die britische Queen wird uns zu Peers of England dafür schlagen.“
„Läßt sich hören“, bestätigte Wolf grinsend.
„Und wie gelingt dir solches?“
„Indem wir die Schlacht bei Trafalgar
nachstellen an ihrem zweihundertsten Jahrestag, am einundzwanzigsten Oktober
zweitausendundfünf und dem Tag, an dem Nelson seinem Schicksal begegnete!“
Ulrich nickte bedeutungsvoll zum Fregattenmodell in seiner Nische.
Karl lächelte nachdenklich in sein
Glas. „Schicksal begegnete... Wenn wir so was auf die Beine stellten – wer
weiß, vielleicht brächte uns das wirklich einen Adelstitel ein. Fragt sich nur,
wo wir die dreißig bis vierzig Linienschiffe mit Besatzungen herkriegen.
Wahrscheinlich wird man nicht mal Victory wieder in Fahrt bringen.“
„Braucht man doch nicht. Da sind
Endeavour, Bounty, Royal Souvereign, Niagara, Pride of Baltimore, Batavia, HMS
Rose und all die anderen Nachbauten. Als Grundstock nehmen wir unsere eigene
Rumflotte. Mindestens ein halbes Dutzend Schoner und Briggs.“
„Ach ja“, kommentierte Wolf
spöttisch. „Ich vergaß: Wir haben eine eigene Flotte. Briggs mit zwei bis sechs
Batteriedecks. Woher nehmen wir die übrigens?“
„Wartet“, sagte Ulrich. „Muß Vorpiek
lenzen.“ Auf dem Weg zu den Toiletten bestellte er eine neue Runde. Die stand
schon auf dem Tisch, als er wiederkehrte. Doch die Unterhaltung hatte sich
beschwingt gedreht und einem neuen Gegenstand zugewandt. Diesmal schwärmte
Wolf.
„...sie ist elegant und hat die
feinsten Kurven, die ich je strak gesehen habe, gerade deswegen eine traurige
Geschichte...“
„Romantisch!“ Ulrich schwang sich auf
seinen Hocker. „Noch eine Insel? Oder deine jüngste Eroberung? Wußt’ ja gar
nichts von.“
Wolf setzte eine geheimnisvolle Miene
auf. „Noch habe ich sie nicht erobert.“
„Sie hat dir widerstehen können?
Ungeheuerlich! Wie heißt sie?“ Ulrich zahlte Wolf die Ironie genießerisch heim.
„Outsider.“
„Eine Lady Marian. Woher kennst du sie?“
„Sie liegt gegenüber dem Schulschiff
Deutschland an der Stephanibrücke, ist eine Brigg und soll das erste Schiff
deiner Flotte werden.“ Wolf verfolgte interessiert Ulrichs Mimik. Das
zugehörige Hirn dahinter suchte in ausgreifenden Sätzen aufzuschließen. „Mal
hübsch langsam. Wer oder was ist die Outsider?“
„Eine traurige Geschichte“,
wiederholte Wolf. „Die Outsider ist eine der wenigen Briggs, und eins der
ältesten Schiffe, die noch fahren. Soll heißen: bis vor Kurzem fuhren.
Ursprünglich Post unter Malteser Flagge. In jüngster Zeit lief sie als
Rehabilitationsprojekt für Junkies...“
„Ist doch eine gute Sache.“
„Sicher. Wäre nichts gegen
einzuwenden. Aber dann...“
– Eine Brigg ist im Gegensatz zu
Schonern und Ketschen ein Rahsegler. Das heißt, ihre Segel sind querschiffs
übereinander angeordnet – angeschlagen unter Rahen wie bei einem „richtigen“
Windjammer. So eine Takelung ist komplizierter zu handhaben als längsschiffs
angeordnete Gaffelsegel. Sie erfordert auch größere Besatzung. Beides trägt
erstens dazu bei, daß Briggs unter allen Seglern heutzutage Seltenheitswert
genießen, zumindest in europäischen Gewässern. Zweitens sehen sie trotz ihrer
verhältnismäßig geringen Größe „schiffiger“ aus.
Die Outsider lief 1862 in England vom
Stapel, gebaut aus Teakplanken auf Eichenspanten. Sie ist sechsundreißig Meter
lang, neun Meter breit, geht vier Meter tief und verdrängt zweihundertvierzig
Tonnen. Der Wind in siebenhundert Quadratmetern Segelfläche an zwei Masten
treibt sie voran oder eine 400-PS-Dieselmaschine.
Acht Jahrzehnte lang segelte sie
unter Malteser Flagge Fracht über das Mittelmeer, und war angeblich sogar in
Waffenschmuggel verwickelt.
Nach dem zweiten Weltkrieg lag sie
auf, bis Mitte der siebziger Jahre ein Jugendverein sie entdeckte, restaurierte
und sich nach ihr benannte. Fünfzehn Jahre lang fuhr sie als
Rehabilitationsprojekt für straffällig gewordene oder drogensüchtige
Jugendliche. Dann fiel einem Beamten in einem Ministerium ein, es sei
gesetzwidrig, wenn ein durch Spenden und Subventionen finanziertes Projekt
ausländische Flagge fahre. Damit man ihr nicht die Unterstützung strich, holte
Outsider das Malteserkreuz nieder und setzte den Adenauer.
Wenig später entschied der Bund, das
Projekt rentiere sich nicht, und stellte es ein. Unklar blieb, nach welchen
Kriterien die Erfolgsbilanz aufgestellt worden war. Die merkantile Wortwahl der
Urteilsbegründung klang in diesem Zusammenhang ziemlich geschmacklos. Das
Schiff wurde wieder aufgelegt, bis der Verein ‚Adict Obdach’ es kaufte und
seitdem als Wohnschiff für Junkies an den Bremer Senat vermietet. Soweit zur
Erfolgsbilanz. –
„Moment“, rief Ulrich. „Heißt das, sie
liegt fest?“
„Justamente.“
„Für immer?“
Wolf zuckte die Schultern. „Es sei
denn...“
„Das heißt, sie gammelt vor sich
hin!“ unterbrach Karl aufgebracht. „Sie lassen ein herrliches, altes
Holzschiff, ein Kulturdenkmal verrotten!“
Wieder zuckte Wolf die Achseln.
Grimmiges Behagen lag in seiner Geste. „Genau wie die Deutschland, die
Passat... Die Junkies sollten sie zwar instand halten – aber naja. Noch ist sie
in Schuß und seeklar, soweit ich feststellen konnte. Trotzdem wird sie früher
oder später auseinanderfallen.“
„Aber das ist idiotisch. Sowas darf
man nicht machen! Warum wird sie nicht gesegelt? Kann doch nicht soviel teurer
sein, langfristig sowieso nicht. Und den Junkies täte es gut“, ereiferte sich
Ulrich.
„Desinteresse, Dummheit? Du kennst
das Spiel: Wieviele Menschen gucken über den Rand des Suppentopfes hinaus, in dem
sie schmoren? Gedankenfreiheit – Freiheit überhaupt erfordert Bemühung.“
„Schande! So ein Schiff gehört
gesegelt! Es könnte Flagge zeigen, Bremens soziale Einrichtungen als
Musterprojekt repräsentieren!“
„Erzähl das nicht mir!“
„Aber das kann man nicht zulassen...“
„Stell Antrag auf Eigenbedarf“, fiel
Karl ein.
„Bah! Als ob du nicht meiner Meinung
wärst! Schlimm genug, wie das Schulschiff langsam verrottet. Aber die Outsider?
Eine Brigg? Das muß man verhindern!“
„Eben“, sagte Wolf.
„Was, eben?“
Die Kellnerin brachte neues Bier.
Wolf blickte seine Freunde fremd lächelnd an.
„Eben deswegen will ich sie klauen.“
Für den Augenblick fiel Karl und
Ulrich nichts ein. Ins Schweigen hinein fuhr Wolf fort: „Wir wollten doch eine
Flotte von Briggs und Schonern. Die Outsider ist unser Anfang. Wir entführen
sie und landen auf Ulrichs Insel. Ganz einfach.“
Ulrich und Karl lachten. Karl nahm
einen großen Schluck und rief: „Allein um gegen ihr Verrotten zu demonstrieren,
sollte man sie klauen.“
„Das wäre die Aktion des Jahrzehnts,
davon spräche ganz Bremen! Stellt euch nur die Schlagzeile vor: ‚Großsegler aus
Bremer Innenstadt entwendet’!“
Begeistert stießen sie drauf an und
malten sich in grellen Farben, wie sie mit dem alten Schiff spurlos in den
Atlantik verschwänden, um wie seinerzeit Kommodore Anson2 im Pazifik
wieder überm Horizont zu erscheinen und einen eigenen Staat zu erobern.
Ulrich war der erste, der ein wenig
ernüchterte.
„Schade, aber funktionieren kann das
Ganze nicht. Die Meere sind nicht mehr weit genug. Du kannst nicht drin
untertauchen, nicht mal buchstäblich. Der Atlantik ist mit Sonarbojen verseucht
und die Nordsee eine überfischte, kontaminierte Pfütze.“
Wolf starrte versonnen auf das
Fregattenmodell mit den offenen Stückpforten. „Wer weiß? Wahrscheinlich könnten
wir uns wirklich nicht auf Nimmerwiedersehen verabschieden. Aber überlegt mal:
Wer hielte uns auf? Und wie?
So was hat’s noch nicht gegeben. Ein
Präzedenzfall. Bis Wer-auch-immer sich von seiner Verblüffung erholt und
beschlossen hätte, was gegen uns zu unternehmen sei, könnten wir Wer-weiß-wo
sein. Selbst entkämen wir am Ende nicht, schon die Aktion für sich wäre es
wert. Eben als Demonstration zur Rettung des Schiffes.“
„Drei Single Malts!“ rief Ulrich zur
Bedienung. „Auf die Outsider!“
„Wie müßten wir es anstellen?“ spann
Wolf weiter. „Eine Nacht- und Nebelaktion. Sie wird uns nicht frisch gebunkert
erwarten. Also fahren wir in mehreren Lieferwagen an der Pier vor mit Proviant,
Werkzeug und Diesel in Kanistern, stürmen an Bord und setzen die Junkies an
Land...“
„Wie das?“ wollte Ulrich wissen.
„Wir halten ihnen ’ne Knarre unter
die Nase. Hast du noch nie einen Gangsterfilm gesehen?“ schlug Karl vor.
„So nicht“, widersprach Wolf
entschieden. „Vergeßt nicht, was für einen Zweck die Aktion haben soll. Es ist
sowieso Piraterie. In der Durchführung darf sie keinesfalls mehr
verbrecherischen Charakter nahelegen als nötig. Wir dürfen nicht wie Gangster
auftreten.“
„Wie dann?“ fragte Karl.
„Es sind Junkies, vermutlich weder
voll zurechnungs- noch widerstandsfähig. Nachts um vier schlafen sie am
tiefsten. Stürmen wir dann, machen ordentlich Krach, brüllen und zünden
Knallkörper, müßten wir sie überrumpeln, daß wir sie ohne viel Gegenwehr von
Bord bugsieren können...“
„Moment“, unterbrach Karl. „Sind die
nachts nicht sowieso Stoff auftreiben? Vielleicht brauchen wir sie nicht
rauszuwerfen.“
„Ein paar Sozialarbeiter sind
trotzdem da“, gab Ulrich zu bedenken. „Ich überlege mir: Sind von der
seefahrenden Stammcrew noch Leute an Bord, wird es sie nicht freuen, das Schiff
an der Kette liegen zu sehen. Vielleicht könnten wir einen auf unsere Seite
ziehen. Der sorgt in der Überfallnacht für freie Bahn.“
„Sehr gut“, lobte Wolf. „Ist einen
Versuch wert. Aber angenommen, es bleiben welche übrig, wie verhindern wir Alarm?“
„Wir sperren sie ein!“
„Hm“, machte Wolf. „Gefällt mir
nicht. Ist Freiheitsberaubung, könnte ein Richter uns sogar als Geiselnahme
ankreiden. Besser merken sie für’s erste gar nicht, daß einer sie beklaut hat. Finden
wir nicht einen Trick, das zu drehen? Wir müssen sowieso ein Ersatzschiff
besorgen.“
„Wozu?“
Wolf beugte sich vor. „Is’ doch klar:
Wir wollen für ein altes Schiff demonstrieren. Wir wollen es nicht für uns –
das können wir uns wahrscheinlich abschminken, und wir wollen auch den Junkies
nicht schaden. Keine niederen Beweggründe, und der Schaden für das Gemeinwohl
so gering wie möglich. Sonst verlieren wir die Glaubwürdigkeit. Wir dürfen den
Junkies die Wohnung nicht ersatzlos nehmen. Ein alter Binnenkahn – etwas, das
sich als Wohnschiff genauso eignet, das aber keine maritime Rarität darstellt.
Kapiert? Den Zossen legen wir an Outsiders Stelle und packen die Junkies
drauf.“
„Und wo nimmst du deinen Binnenkahn
her? Versteh ich dich richtig, können wir den nicht auch klauen“, wandte Ulrich
ein.
Wolf nickte. „Da haben wir ein
Problem. Er müßte ungefähr so groß sein, und das heißt, wir kommen auch mit
viel Glück unter fünfzigtausend für eine rotte Hulk kaum weg. Wer von euch hat
fünfzigtausend Mark?“
Ulrich und Karl schüttelten grinsend
die Köpfe.
Die Kellnerin brachte Bier.
„Vertagen wir das. Angenommen, es
gelänge uns, die Outsider zu übernehmen. Wie geht’s dann weiter?“
Karl sprang ihm willig zur Seite:
„Wir kappen die Leinen und...“
„Nein, wir werfen sie hübsch korrekt
los. Denn bevor wir uns selbst an die große Glocke hängen, müssen wir heimlich
die offene See gewinnen. Erst müssen wir auf Zehenspitzen die Weser runter. Was
brauchen wir dazu?“
„Eine dunkle Neumondnacht.“
„Richtig.“
„Ablaufend Wasser und südliche bis
östliche Winde.“
„Die dunkle Nacht ist egal“,
widersprach Ulrich müde. „Das ist nämlich der Haupthaken an der Geschichte, der
noch immer nicht in eure Köpfe reingeht. Es ist utopisch, unbemerkt die Weser
runter zu laufen. Was glaubt ihr, wozu die Radarzentrale in Bremerhaven dient,
wozu alle zehn Kilometer flußab die Türme stehen?“
„Ha!“ Wolf spießte Ulrich mit dem
Zeigefinger auf. „Erstens, Herr Schiffsbetriebsleiter: Die Radarlotsen rufen
ein Fahrzeug nicht an, das sich korrekt verhält und keine Beratung verlangt.
Zweitens sollte bis dahin noch kein Alarm geschlagen sein. Von allein kommen
die bestimmt nicht drauf, daß Outsider geklaut ist. Drittens verursacht ein
Holzschiff einen sehr kleinen Blip auf dem Schirm. Selbst wenn sie uns rufen, könnten
wir uns für eine Yacht ausgeben. Denk
psychologisch, Mensch. Ein geklauter Großsegler ist absurd wie ein
geklauter Luftschutzbunker! Selbst, wenn jemand Alarm gibt, wird ihn erstmal
keiner ernst nehmen.
Schließlich können wir noch die
Traditionsseglerflotte in Bremerhaven bitten, Geleitschutz zu fahren.
Sympathisanten hätten wir genug. Aktiv mitmachen würden die Jungs vielleicht
nicht, aber sie könnten zufällig gerade alle auslaufen, wenn wir vorbei kommen,
nicht? Niemand könnte ihnen was anhängen, und wir fielen im dichten Pulk
Schiffe kaum auf. Übrigens: Sind wir in der Lage, den Outsider-Verein zu
unterwandern, können wir auch versuchen, die Radarzentrale zu infiltrieren.“
„So mit KGB-Maulwürfen, was?“ Ulrich
zog ein skeptisches Gesicht, wischte seinen Einwurf aber selbst vom Tisch und
legte seinen Freunden eine ganze Auswahl Gegenargumente vor. „Laßt uns lieber
rechnen, ob es navigatorisch machbar ist. Vergeßt nicht, wir haben es mit
Tidengewässern zu tun. Mit einer Ebbe müssen wir von Bremen kommend so weit wie
möglich an Bremerhaven vorbei. Zwischen Hochwasser Bremen und Niedrigwasser
Bremerhaven haben wir nur etwa fünfeinhalb Stunden Zeit. Bis Kaiserschleuse
querab sind es fünfunddreißig Meilen, bis Alte Weser raus nochmal
fünfundzwanzig. Sechzig Meilen, die wir in der einen Tide abreißen sollten.
Schwierig genug. Dabei sollten wir Bremerhaven noch bei Dunkelheit passieren,
obwohl wir den Überfall in Bremen kaum vor zwei Uhr nachts durchführen können,
wollen wir sicher sein, daß die Leute schlafen. Seien es die an Bord oder
andere Beobachter.
Wir brauchen einen Termin, an dem es
um halb neun morgens noch dunkel ist, Hochwasser in Bremen um drei, bedeckter
oder mondloser Himmel und südliche Winde. Dem Hochwasser nach kommt nur jeder
zwölfte Tag in Frage, der Dunkelheit nach nur ein Termin zwischen Spätherbst
und Frühjahr. Wann hätten wir zu dieser Jahreszeit in Norddeutschland Süd- oder
Ostwind?“
Karl lachte. „Dafür können wir uns
auf unsichtiges Wetter verlassen.“
„Weiter geht’s“, fuhr Ulrich unbeirrt
fort. „Was, wenn wir’s tatsächlich bis in die Deutsche Bucht schaffen? Meint
ihr, dann sind wir aus dem Schneider? Dort haben sie uns genauso schnell.“
„Und wie?“ funkte Wolf ihm hitzig in
die Parade. „Was sollen die machen? Meinst du, die jagen uns ’ne Fregatte
hinterher und nehmen uns mit Raketen unter Beschuß? Oder schicken uns ein
bewaffnetes Enterkommando auf den Hals, das alles kurz und klein schießt?
Soviel ich weiß, dürfen deutsche Polizisten nur in Notwehrsituationen scharf
schießen. Wenn wir in Offenheit und Öffentlichkeit klar gemacht haben, daß von
unserer Seite keine Gewalt droht, daß wir keine echten Gangster sind? – Sie
können uns auffordern beizudrehen. Gehorchen wir aber nicht, was dann? Durch
die Verfolgung arbeiten sie uns sogar in die Hand: Wir kriegen jede Publicity,
die wir brauchen.“
„Apropos“, fragte Karl. „Wie erfährt
die Öffentlichkeit davon?“
Wolf grinste verschmitzt. „Natürlich
ist von Anfang die Presse an Bord. Wir gehen zu Buten und Binnen und fordern
sie auf, am soundsovielten um zwei Uhr nachts an der Pier zu sein, wollen sie
nicht die Story des Monats verpassen.“
„Und du glaubst, das glauben die?“
„Natürlich nicht. Sind wir aber
überzeugend genug, schicken sie vorsichtshalber doch ein Kamerateam. Wir machen
Nicole vorher ’ne Andeutung, die sorgt schon dafür. Und Story des Monats ist
wohl nicht übertrieben?“
Karl und Ulrich lachten. „Ich glaube
trotzdem nicht, daß wir die Öffentlichkeit auf unsere Seite ziehen. Wer
interessiert sich schon für alte Schiffe?“
„Wir ziehen es mit der nötigen
Bravour und Eleganz durch. ‚Die Gentlemen bitten zur Seereise’. Meinst du der
Postraub damals war im öffentlichen Interesse? Trotzdem hatten die Jungs halb
England auf ihrer Seite. Und während Bremen von nichts anderem spricht, laufen
unsere Verbindungsleute an Land durch die Obernstraße und sammeln
Unterschriften zur Erhaltung der Outsider. Das soll nicht funktionieren?“
Ulrich runzelte seine Stirn.
Passanten auf offener Straße anquatschen? Versuchen, sie zu überzeugen, ihre
Unterschrift zu leisten für etwas, das sie nicht interessierte? Er schauerte
zusammen, stellte er sich in solcher Rolle vor.
Karl meinte abwesend: „An den Küsten
außerhalb Deutschlands müssen wir Stützpunkte einrichten mit Diesel und Proviant,
damit wir uns lange genug draußen halten.“
Das behagte Ulrich eher, darauf ging
er lieber ein. „Die Anrainerstaaten der Nordsee werden uns kaum in ihre
Hoheitsgewässer lassen.“
„Meinst du, die Norweger postieren
vor jedem Fischerkaff, in jedem winzigen Fjord nur unsretwegen ein
Polizeiboot?“ hielt Wolf ihm entgegen. „Stützpunkte sind eine gute Idee.“
„Früher oder später müssen wir
trotzdem aufgeben.“
„Klar. Sobald alle Publicity
ausgereizt haben. Dann setzen wir uns ab“, sagte Karl.
„Nee, eins geht nur. Entweder wir
klauen Outsider für uns, oder wir ziehen die Aktion zur Rettung eines alten
Schiffes durch. Dann müssen wir uns stellen, sonst wäre alles umsonst.
Abgesehen davon tauchen wir in keinem Land der Welt so leicht unter. Ich wüßte
nicht, wo man falsche Papiere und so herbekommt.“
„Womit wir bei den juristischen
Konsequenzen wären. Wir haben ein Schiff geklaut. Piraterie oder schwerer
Diebstahl. Wir haben niemanden verletzt und durch unser Verhalten gezeigt, daß
wir das nie vorhatten. Wir haben herausgestellt, daß wir keine niederen
Beweggründe, keinen Eigennutz verfolgten. Wiederholung ist ausgeschlossen.
Keiner von uns ist vorbestraft. Müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir
nicht Bewährung kriegten!“
„In unsern Führungszeugnissen sieht es
trotzdem häßlich aus.“
„Meinst du! Überleg mal ein Stück
weiter: Keinem Personalchef der Wasserkante entgeht so ein Medienereignis. Wir
haben Organisationstalent, Durchsetzungsvermögen, Führungsqualität, Ehrgeiz und
Ellenbogen bewiesen. Erzähl mir nicht, für eine aufstrebende Firma, bei der du
dich bewirbst, sei das nicht wichtiger als dein Führungszeugnis. So blöd sind
die nicht!“
„Wenn du dich da man nicht täuscht.“
Ulrich lachte bitter. „Meine Reederei ist allerdings so blöd. Ich halte jede
Wette, ich fliege bei denen raus, hochkant und meine ehrgeizigen Ellenbogen
abgewinkelt. Die mögen keine unbequemen Mitarbeiter.“
Wolf schwieg. Damit mochte Ulrich
recht behalten. Nach einer Weile sagte er: „Dann sieh’s anders. Was hat das
Leben dir zu bieten? Du fährst dreißig Jahre lang zur See, hast ein
gesichertes, sogar hervorragendes Gehalt, und... ? Das war’s. Du bist doch
derjenige, der sich beschwert, die Seefahrt sei nicht mehr, was sie war. Du
hast ständig frischen Kaffee, eine warme Brücke, brauchst nichts zu tun, außer
Knöpfe zu drücken und die schwere Last der Verantwortung zu tragen. Ich
übertreibe. Trotzdem: damit trainierst du keinen Wohlstandsbauch weg. Ich frage
dich: Was vermißt du?“
Er starrte Ulrich prüfend ins
Gesicht. „Wir wissen beide, was du vermißt, was wir alle vermissen.“
Wirkungsvolle Pause. „Und ich biete dir einen Paukenschlag, lauter, als alles
Geräusch, das die meisten Leute im ganzen Leben produzieren. Was für eine Rolle
spielt, was hinterher kommt?“
Ulrich blickte nachdenklich vor sich
hin. „Es ist eine schwere Entscheidung, wegen einer einmalig aufregenden Sache
den Rest seines Lebens in den Wind zu schreiben.“
„In den Wind? Karl schreibt’s in ein
Buch! Das kriegt er verkauft. Einen Namen wird er hinterher haben, braucht
keinen Pirateninselverlag mehr zu gründen.“
„Hey, hallo – halloo!” Karl trat auf die Bremse. „Jungs, kommt
zurück auf den Teppich der Tatsachen!“ „Vergeßt nicht, wo wir sind. Wir sitzen
in ’ner Kneipe beim Bier und spintisieren in den Abend! Mehr nicht.“
Wolf zuckte zusammen, lehnte sich
zurück, entspannte sich ein wenig und lächelte plötzlich dieses Lächeln, das
vielen Sabinerinnen so gefiel. „Aber ich denke, es wäre möglich. Zumindest,
triebe man irgendwo ein Ersatzschiff auf.“
Ulrich nickte und lächelte ebenfalls.
„Yep. Und ich denke, ich wäre dabei. Ich würde wirklich auf die Reederei
pfeifen.“
„Na dann – hoch die Tassen!“ schrie
Karl. „Auf die Operation Outsider, die wir durchführten, wäre die Erde ein
Kugel!“
Lachend stießen sie an.